D. DIE EUROPÄISCHEN INTERESSEN IN INTERNATIONALEN HANDELSGESPRÄCHEN BESSER VERTEIDIGEN

Die Transparenz von Handelsgesprächen muss gewährleistet sein. Sie ist die Bedingung für eine legitime Handelspolitik. Die Europäische Union muss zudem eine offensive Handelspolitik betreiben, welche die notwendige Ergänzung zu ihrer wirtschaftlichen Macht darstellt.

1. Eine wirkliche Transparenz der Handelsgespräche gewährleisten

Angesichts der Blockierung der multilateralen Handelsgespräche bei der WTO hat die Europäische Kommission mehrere bilaterale Freihandelsabkommen der neuen Generation« initiiert und geschlossen.

Über einfache tarifäre und nicht-tarifäre Zollsenkungen hinaus beinhalten diese Abkommen Bestimmungen über die Zusammenarbeit in Regelungsfragen und Kapitel, die sich mit den Themen nachhaltige Entwicklung sowie Sozial- und Umweltrechte beschäftigen.

Diese Abkommen stehen aufgrund ihrer Ziele zunehmend im Mittelpunkt von Auseinandersetzungen . Da sie Lebensstile, Kulturen« und kollektive Vorlieben aufs Spiel setzen, rufen sie starke Opposition und Besorgnis in der öffentlichen Meinung hervor. Die Handelspolitik, als exklusive Kompetenz der Europäischen Kommission, scheint die Rolle der Mitgliedsstaaten und im Besonderen der nationalen Parlamente zu minimieren.

Selbst wenn der Wirtschaftsverkehr eine Quelle für Wachstum und Beschäftigung war und bleiben muss, zwängen sich nun neue politische Bedingungen auf, um der zumeist legitimen Besorgnis, die sich zeigt, zu begegnen: Sie erfordern eine erhöhte Transparenz und eine europäische Position, die im Rahmen der Gegenseitigkeit und Behauptung eines Europas der Macht eher auf die Verteidigung ihrer eigenen Interessen ausgerichtet ist.

2. Transparenz als unerlässliches Kriterium für eine legitime Handelspolitik

Die neuen Handelsabkommen verändern unsere Lebensstile und kollektiven Vorlieben . Diese quasi-kulturelle Dimension ruft Besorgnis und Argwohn hervor.

Um dem zu begegnen, sind Kommunikation und erzieherisches Einwirken unerlässlich sowie eine ehrliche und loyale Transparenz vonnöten. Eine Transparenz, die sich vor allem gegenüber den nationalen Parlamenten äußert. Ihre Rolle darf sich nicht länger darauf beschränken, am Ende des Weges ihre Zustimmung zu Texten zu geben, die weit weg von ihnen beschlossen wurden.

Die Handelspolitik der Union muss regelmäßig in den nationalen Parlamenten diskutiert werden. Diese parlamentarischen Debatten müssen so weit wie möglich im Voraus abgehalten werden, zum Beispiel vor der Verabschiedung eines Verhandlungsmandats durch den Europäischen Rat, das der Kommission übertragen wird, um ein Freihandelsabkommen zu schließen.

Das wäre für die Regierung die Gelegenheit, ihrer nationalen Vertretung zu sagen, sowohl was sie mit dem zukünftigen Abkommen bezweckt, aber auch die roten Linien zu benennen, die es in diesem oder jenem Sektor nicht überschreiten will. Es ist ihre Aufgabe, die Herausforderungen, die zu erwartenden Vorteile und die möglichen Risiken zu erläutern, auf die im Laufe der Verhandlung eingegangen werden soll.

Die Transparenz muss auch während der Verhandlungen gegeben sein. Die französischen Parlamentarier können sich an das Generalsekretariat für Europafragen (SGAE) wenden, um mehr oder weniger vertrauliche Dokumente zu konsultieren, die über den Stand der aufeinander folgenden Verhandlungsrunden informieren. Aber dass solche Dokumente nur in Englisch verfügbar sind, ist inakzeptabel. Auf diese Weise bleibt eine Art Undurchsichtigkeit bewahrt, die zudem gegen eine Regel der europäischen Verträge verstößt.

Zwei andere Vorgehensweisen sind nun notwendig: zunächst die Erstellung sowie weitest- und frühestmögliche Verbreitung von vorausgehenden Studien über die Folgeabschätzungen , sowohl zu Beginn der Verhandlungen als auch bei der provisorischen Umsetzung der geschlossenen Abkommen.

Des Weiteren ist eine systematische Politik notwendig, mit der die Umsetzung der Abkommen nach einer bestimmten Geltungsdauer geprüft werden kann. Sie wird heute stark vernachlässigt, insbesondere in Bezug auf die Einhaltung der Bestimmungen zur nachhaltigen Entwicklung sowie zu den sozialen und umweltrelevanten Erfordernissen.

Letztlich soll alles transparent gestaltet sein, was in einem Handelsabkommen in der exklusiven Kompetenz der Kommission liegt oder auf geteilter Kompetenz beruht. Eine dauerhafte Klärung zu diesem Punkt ist dringend erforderlich. Die Unsicherheit, die CETA in dieser Hinsicht lange Zeit umgeben hat, ob gemischtes Abkommen oder nicht, hat in der Debatte stark negativ gewogen.

Es wäre durchaus legitim, dass der Kommissar oder die Kommissarin, der/die für die Handelspolitik verantwortlich ist, regelmäßig von den Vertretern der nationalen Parlamente angehört wird, vor allem im Rahmen der Konferenz der Ausschüsse für Gemeinschafts- und Europa-Angelegenheiten (COSAC).

In einem Umfeld allgemeinen Argwohns gegenüber der Entwicklung des Wirtschaftsverkehrs geht Transparenz Hand in Hand mit der Demokratie selbst. Eine ausgewogene Handelsliberalisierung hat nichts zu verbergen.

3. Eine offensive Handelspolitik als notwendige Ergänzung zur Wirtschaftsmacht der Union

Eine offensive Vorgehensweise der Union wird nun erforderlich, damit sie sich aufgrund ihrer Wirtschaftsmacht auch als Handelsmacht behaupten kann, die auf die Verteidigung ihrer Interessen ausgerichtet ist. Diese Vorgehensweise könnte drei Dimensionen beinhalten.

- Erstens muss die Union die handelspolitischen Schutzinstrumente vollständig nutzen.

Gegenüber dem Dumping und allgemeiner staatlicher Subventionen , welche die Preise für Produkte aus bestimmten Exportnationen - insbesondere aus China - zulasten der europäischen Industrie und der Erwerbstätigen verfälschen, verfügt die Europäische Union über ein angemessenes Arsenal an Instrumenten, das den Regeln der WTO entspricht. Dennoch hat die Europäische Union es bis dato nur sehr begrenzt eingesetzt . Diese systematische Zurückhaltung muss sich ändern.

Die Union muss vor allem die Berechnungsmethode für die Dumping-Praxis chinesischer Unternehmen verändern, denn China kann nicht als freie Marktwirtschaft« gewertet werden, was es rechtfertigen würde, dass die Zollsätze der Europäischen Union nach unten korrigiert werden.

Im Allgemeinen hat die Europäische Kommission entschieden, eine bis jetzt zu wohlwollende Politik gegenüber den Wirtschaftsmächten, die diese unlauteren Handelspraktiken üblicherweise anwenden, zu verändern.

Die Regel des niedrigeren Zollsatzes«, die bis dato Geltung hatte, muss zugunsten einer höheren Flexibilität abgeschafft werden.

Die Regel des niedrigeren Zollsatzes

Um eine Antidumping-Maßnahme zu rechtfertigen, muss die tatsächliche Anwendung dieser Praxis und der für die Industrie erlittene Schaden aufgrund dieses Dumpings nachgewiesen werden. Der derzeitige Antidumping-Zollsatz entspricht entweder der Dumpingspanne selbst oder dem zur Beseitigung der Schädigung erforderlichen Betrag, falls dieser geringer ist. Diese Regel des niedrigeren Zollsatzes wurde von der Kommission stets bevorzugt. Zum Beispiel lag angesichts des Dumpings bei bestimmten chinesischen Stahlerzeugnissen der durchschnittliche Antidumping-Zollsatz in der Union nach Anwendung der Regel des niedrigeren Zollsatzes bei 21 %, während in den USA dasselbe Produkt aus demselben Land einen Satz von 261,5 % hatte.

Schließlich enthalten alle Freihandelsabkommen gemäß den Regeln der WTO Stabilisierungsmechanismen oder Schutzklauseln für den Fall eines dauerhaften und bedeutenden Ungleichgewichts von Warenimporten aus den Partnerstaaten. In Bezug auf die Abkommen zwischen der Union und den Staaten Lateinamerikas hat der Fall der Banane die Trägheit der Kommission ans Licht gebracht, die zur Verfügung stehenden Mittel wirklich einzusetzen.

- Zweitens muss die Union an einer ausgewogenen Gegenseitigkeit für den Zugang zum öffentlichen Vergabewesen arbeiten.

Dies war der wesentlichen Punkte, der das TTIP-Abkommen mit den USA blockierte. Auch mit Japan wird das der Fall sein. Das unterzeichnete Abkommen mit Kanada hat für eine relative Zufriedenheit in diesem Punkt gesorgt, denn der Öffnungsgrad stieg von 10 auf 30 %.

Die Situation auf diesem Gebiet spricht für sich selbst: 82 % des europäischen öffentlichen Vergabewesens sind für Unternehmen aus Drittstaaten geöffnet, während diese Werte bei nur 32 % in den USA und bei 28 % in Japan liegen. In Anbetracht der Bedeutung und ökonomischen Herausforderung für die europäischen Unternehmen, allen voran die französischen KMU, ist klar, dass die Union diese Vorgehensweise einer Öffnung ohne Gegenleistung verändern muss.

Die Europäische Kommission hatte im Jahr 2012 eine verschärfte Bestimmung über die Gegenseitigkeit vorbereitet, die zwei Optionen vorsieht: Den öffentlichen Auftraggebern die Möglichkeit einzuräumen, die externen Lieferanten nach dem Öffnungsgrad ihrer Länder gegenüber europäischen Angeboten zu unterscheiden; der Kommission die Möglichkeit einzuräumen, den europäischen Markt teilweise für Anbieter aus Drittstaaten zu schließen, wo europäische Unternehmen systematisch ausgeschlossen werden.

Die unterschiedlichen Herangehensweisen zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten haben bis heute die Verabschiedung eines konsensfähigen Textes verhindert. Ebenso wie für die Instrumente zur Bekämpfung unlauterer Handelspraktiken ist eine solche Bestimmtheit nun notwendig.

- Drittens muss die Union handeln, um extraterritorialen Wirkungen zu blockieren, welche die USA mit ihrer nationalen Gesetzgebung hervorrufen.

Die europäischen Unternehmen sind heutzutage einer Vielzahl amerikanischen Regeln mit extraterritorialer Wirkung ausgesetzt. Sie müssen angewendet werden, sobald nur die geringste Verbindung zu den USA besteht, beispielsweise indem das amerikanische Finanz- und Währungssystem genutzt wird, das nur schwer umgangen werden kann.

Nach der BNP Paribas, die 9 Milliarden Dollar Strafe zahlen musste, weil sie Verträge mit Ländern unter amerikanischem Embargo geschlossen hatte, und Alstom, das 770 Millionen Euro aufgrund der amerikanischen Antikorruptionsgesetzgebung ausgeben musste, ist nun die Deutsche Bank für ihre Rolle in der Subprime-Krise von einer Geldstrafe von bis zu 14 Milliarden Dollar betroffen. Wenn es soweit kommt, könnte dieser Betrag für eine Destabilisierung des gesamten europäischen Finanzsystems sorgen.

Darüber hinaus ist die Wiederaufnahme der Beziehungen zum Iran trotz des Atomabkommens vom 14. Juli 2015 blockiert, da die USA bilaterale Sanktionen aufrecht erhalten, denen sich nicht einmal die nicht-amerikanischen Firmen widersetzen können.

Die Untersuchungsdelegation der Nationalversammlung zur Extraterritorialität der US-amerikanischen Gesetzgebung 4 ( * ) hat ermittelt, dass europäische Unternehmen in letzter Zeit insgesamt 20 Milliarden Dollar Strafe an die US-amerikanischen Behörden zahlen mussten. Grund dafür waren internationale Korruption oder die Missachtung der von den USA auferlegten Wirtschaftssanktionen.

Die Geschichte hat jedoch gezeigt, dass sich die Europäer gegenüber den Amerikanern wehren können; es geht dabei weniger um eine Rechtsfrage als vielmehr um Machtverhältnisse. Europa hat die USA nach der Verabschiedung von Gesetzen durch den Kongress im Jahr 1996 zurückgedrängt, nicht-amerikanische Unternehmen sanktionierten, wenn sie wirtschaftlich in Kuba, Libyen oder im Iran aktiv waren. Es gibt ein Projekt zur Aktualisierung dieser EU-Blockadeverordnung aus dem Jahr 1996 5 ( * ) . Diese Aktualisierung muss neu lanciert werden.

Darüber hinaus muss Europa seine eigenen Bestimmungen umsetzen und eine politische und institutionelle Sichtbarkeit für die Anwendung der wirtschaftlichen Sanktionen, die sie entscheidet, schaffen, indem sie innerhalb der Kommission einen besonderen Ansprechpartner auswählt, der für diese Vorgehensweise verantwortlich ist.

Empfehlungen für eine offensive Handelspolitik

1. Eine wirkliche Transparenz in den Vorbereitungen, Verhandlungen und der Umsetzung des Handelsabkommens gewährleisten

- Die Kommunikations- und Informationsmaßnahmen der neuen Europäischen Kommission fortführen und systematisch gestalten ; Veröffentlichung der Verhandlungsmandate ;

- Die Instrumente für mehr Transparenz, die von der französischen Regierung anlässlich der TTIP-Verhandlungen eingeführt wurden, zu einer ständigen Einrichtung werden lassen: den strategischen Überwachungsausschuss ;

- Die nationalen Parlamente systematisch in die verschiedenen Etappen der grundlegenden Freihandelsabkommen einbeziehen:


• parlamentarische Debatten über die Verhandlungsmandate, die der Europäischen Kommission vom Rat anvertraut warden ;


• Zugang zu den vertraulichen Dokumenten der Verhandlungsberichte, ins Französische übersetzt;


• erreichen, dass die Vertreter der nationalen Parlamente während der Verhandlungen regelmäßig vom Handelskommissar informiert werden: Warum nicht im Rahmen eines spezifischen COSAC ?

- Die Kriterien zur Vielfalt der Handelsabkommen vorab und dauerhaft klären ;

- Systematisch Studien über die Folgeabschätzungen vor Beginn einer Verhandlung durchführen und kommunizieren ;

- Systematisch Studien zur Überwachung und Umsetzung der geltenden Abkommen durchführen und kommunizieren, insbesondere in Bezug auf die Bestimmungen zur nachhaltigen Entwicklung.

2. Eine robuste Vorgehensweise zum Schutz des Handels in die Wege leiten, welche die Interessen der Union fördert und die Gegenseitigkeit ihrer Partner berücksichtigt

- Die verschiedenen Schutzinstrumente im Bereich des Handels, über welche die Europäische Union verfügt, anwenden, um unlautere Maßnahmen der Konkurrenz zu bekämpfen: Dumping, subventionierte Volkswirtschaften, z. B. China.

- Die Stabilisierungsmechanismen und Schutzklauseln, die in den Abkommen enthalten sind, strenger anwenden.

- Von den Handelspartnern der Europäischen Union eine Gegenseitigkeit in Bezug auf den Zugang zum öffentlichen Vergabewesen fordern; falls notwendig, über eine europäische Verordnung Maßnahmen einleiten, die zum Ausschluss von Unternehmen aus Drittstaaten bei öffentlichen Ausschreibungen führen, die keine Gegenseitigkeit gewähren.

- Eine wirkliche Partnerschaft kann nicht in Kauf nehmen, dass die Gesetzgebung eines Partnerstaates auf extraterritorialem Gebiet angewendet wird. Diese Vorgehensweise widerspricht dem internationalen Recht:


• die Aktualisierung der bestehenden europäischen Verordnung gegen die Auswirkungen einer extraterritorialen Gesetzgebung erneut lancieren;


• innerhalb der Kommission eine Instanz zur Umsetzung und Überwachung der Wirtschaftssanktionen, die von der Union entschieden wurden, festlegen.


* 4 Bericht Nr. 4082 (5. Oktober 2016) der Untersuchungsdelegation der Nationalversammlung zur Extraterritorialität der US-amerikanischen Gesetzgebung (mission d'information de l'Assemblée nationale sur l'extraterritorialité de la législation américaine (Pierre Lellouche, Vorsitzender, und Karine Berger, Berichterstatterin)).

* 5 Verordnung (EG) Nr. 2271/96 des Rates vom 22. November 1996 zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen«.

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