B. ERNEUERUNG DER FUNKTIONSWEISE DER BEHÖRDEN: REAKTION AUF DIE DEMOKRATISCHE HERAUSFORDERUNG

Mehrere Krisen - Staatsschulden, Migration, Sicherheit, Brexit - der die EU sich gegenübergestellt sieht, führen dazu, dass man sich über die Funktionsweise des institutionellen Dreiecks« (Europäische Kommission, Rat, Parlament) Gedanken machen muss, ebenso auch über die Anstoß- und Koordinationsrolle, die die Verträge dem Europäischen Rat geben.

Bestimmte Verbesserungsoptionen, die dazu dienen, die europäischen Institutionen zu stärken, benötigen eine Revision der Verträge. Deshalb können sie nur mittel- bis langfristig und nicht sofort umgesetzt werden.

Die Interessensgruppe befindet, dass die Revision der Verträge derzeit nicht Priorität hat .

Die Revision der Texte könnte den für die Neuausrichtung der EU nötigen politischen Elan schwächen und dabei die Ansprüche der Bürger außer Acht lassen.

Als erste Intention werden pragmatische Lösungen bevorzugt, die schnell umgesetzt werden können, um konkrete, verständliche und effiziente Fortschritte präsentieren zu können.

1. Bestätigung der Anstoß- und Koordinationsrolle des Europäischen Rates

Die Wirtschaftskrise und anschließend die Migrationskrise haben die Schwierigkeiten der EU betont, schnelle und klare Reaktionen aufzustellen. Diese beiden Ereignisse haben vor allem den polyarchischen Charakter der europäischen Institutionen und das fehlende Inbild der Union gezeigt. Sie haben gleichzeitig dazu geführt, dass der zwischenstaatliche Ansatz verstärkt und die Rolle der Europäischen Kommission überdacht wurde. Die Neuausrichtung des europäischen Projekts führt unumgänglich um eine geteilte Souveränität, die für eine Föderation von Nationalstaaten nötig ist. Aber - basierend auf den unterzeichneten und ratifizierten Verträgen - muss diese Teilung von den Mitgliedsstaaten mit einer guten Koordination mit der Europäischen Kommission einhergehen. Die Anstoß- und Koordinationsrolle des Europäischen Rates muss bestätigt werden, dies gemäß Artikel 13 des EU-Vertrags.

Es geht nicht darum, die Superiorität des zwischenstaatlichen Ansatzes über die gemeinschaftliche Methode zu zeigen, sondern darum, die beiden Methoden effizient zu vereinen. Die Schwierigkeiten, den europäischen Elan am Leben zu erhalten, sind heute teilweise auf die Unfähigkeit der Staaten zurückzuführen, den diplomatischen Ansatz im Rat hinter sich zu lassen. Eigentlich sollten sie ihr europäisches Engagement zeigen, indem sie gemeinsam definieren, was sie von Europa erwarten. Zudem ist die fehlende Verständlichkeit des europäischen Handelns ebenfalls mit den exzessiven gemeinschaftlichen Methoden und einem zu späten Einbezug der Subsidiarität zu verbinden.

In diesem Zusammenhang könnte vorgesehen werden, dass der Europäische Rat jedes Jahr eine Deklaration mit einem Arbeitsprogramm für die Europäische Union macht, die in wenigen Punkten die Prioritäten für die Kommission umfasst, die anschließend von der Kommission detaillierter erarbeitet werden 15 ( * ) .

Bleibt nur noch die Frage des Inbilds der Europäischen Union, die gegen außen bei den Bürgern zu wenig sichtbar ist und die Schaffung der Stelle des Präsidenten des Europäischen Rates nicht verändern konnte. In diesem Zusammenhang wird häufig die Veränderung der institutionellen Architektur genannt, im Sinne einer Vereinigung der Posten des Präsidenten des Europäischen Rates und des Präsidenten der Europäischen Kommission. Dies kann ohne eine Vertragsänderung erfolgen. Dabei könnte eine bestimmte Reserve für das Gleichgewicht der Institutionen vorgesehen werden. Wird die Europäische Kommission vom Europäischen Rat absorbiert oder umgekehrt vom Europäischen Rat beiseite gedrängt?

Es erscheint opportuner, die Legitimität des Präsidenten des Europäischen Rates zu überdenken. Dieser wird derzeit vom Europäischen Rat gewählt. Es könnte vorgesehen werden, dass er auf Vorschlag des Europäischen Rates, vom Europäischen Parlament und des ständigen Ausschusses (s. unten) im Kongress gewählt wird. Die Wahl durch die nationalen Parlamente würde ihm eine wahre Aufgabe im Sinne der Einhaltung der Subsidiarität verleihen. Diese Verstärkung der Legitimität des Präsidenten des Rates bedeutet gleichzeitig eine Abschaffung des rotierenden Ratsvorsitzes. Die Koordinationsrolle würde anschließend vom Präsidenten des Europäischen Rates wahrgenommen. Diese Veränderung könnte nur mittel- bis langfristig stattfinden, da eine Veränderung der Verträte nötig wäre, was für die Neuausrichtung der EU nicht der richtige Ansatz ist.

2. Revision der Funktionsweise des institutionellen Dreiecks

Die Bestätigung der Anstoßrolle des Europäischen Rates würde das Gleichgewicht zwischen gemeinschaftlichem Ansatz - Europäische Kommission - und zwischenstaatlichem Ansatz - Europäischer Rat - nicht betreffen. Auf längere Sicht, muss das europäische Projekt am Horizont erkennbar bleiben.

Wenn man die Anträge des Europäischen Rates betrachtet, muss die Europäische Kommission weiterhin das Arbeitsprogramm präsentieren, das sich auf die gemeinsamen Prioritäten konzentriert und die Subsidiarität respektiert. Das Programm wird vor dem Europäischen Parlament und der ständigen Sitzung der nationalen Parlamente debattiert. Dabei würde sie die Initiative für die Gesetzgebung behalten.

Die Konsolidierung der Rolle der Europäischen Kommission schließt die Revision der Funktionsweise nicht aus. Die Anzahl der Kommissare, wie die der Generaldirektionen (33 einschließlich Unterstützungsdienste) erscheint zu hoch. Der Wunsch der Europäischen Kommission, sich seit 2014 jährlich auf maximal zehn Prioritäten zu konzentrieren, muss auf eine Neudefinierung der Bereiche der Generaldirektionen herauslaufen, insbesondere durch die Fusion bestimmter GDs und einer anschließenden Anpassung der Stellen dafür. Eine gleiche Reflexion muss ebenfalls für die Agenturen der Europäischen Union erfolgen (43). Dabei sollte eine Abgleichung der Aktivitäten mit deren der Agenturen auf nationaler Ebene angestrebt werden, insbesondere im Kommunikationsbereich.

Wenn man diese Bewegung ansieht, muss die Anzahl Kommissare reduziert werden. Der Ansatz eines Kommissars pro Staat könnte somit abgeschafft werden, da dabei oft Unterbeschäftigung oder anekdotenhafte Posten entstehen. Die von Juncker gewünschte Hierarchisierung der Posten mit der Schaffung von sieben Vizepräsidenten ist ein erster positiver Schritt. Aber nicht alle erwarteten Vorteile konnten erzielt werden und das Phänomen der Verdoppelung (insbesondere im Wirtschafts- und Finanzsektor sowie den auswärtigen Angelegenheiten) blieb erhalten. Es ist zu bemerken, dass die Begrenzung der Anzahl Kommissare schon im Vertrag von Nizza ins Auge gefasst und im Lissaboner Vertrag bestätigt wurde. Es geht darum, den ursprünglichen Geist der Gründerväter zurückzuholen. Mit einer grenzüberschreitenden, konzentrierten, politischen Kommission mit Experten hohen Niveaus und von generellem Interesse und nicht mit einer übernationalen Kommission, die zur Überregulierung neigt. Eine im Anhang des Vertrags von Lissabon beigefügte Erklärung sieht schon die Konsequenzen der Reduktion der Anzahl Kommissare vor und betont, dass für die Kommission die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Realitäten der Mitgliedsstaaten einzubeziehen sind, wenn diese nicht vertreten sind 16 ( * ) .

Über die von der Europäischen Kommission präsentierten Texte würde weiterhin im Europäischen Rat und Parlament abgestimmt. Um die demokratische Legitimität zu stärken und dem steigenden Bedarf, eine europäische Repräsentation der nationalen Parlamente zu haben, könnte eine Revision des Wahlmodus im Europäischen Parlament vorgesehen werden. Wie das deutsche Verfassungsgericht 2009 geurteilt hat, ist das Europäische Parlament heute kein repräsentatives Organ für ein souveränes Volk, da es aus nationalen Kontingenten von Abgeordneten zusammengesetzt wird. Unter ihnen sind die Repräsentationsungleichgewichte groß: Ein europäischer Abgeordneter Deutschlands repräsentiert 860.000 Personen, einer aus hingegen Malta 67.000. Es würde sich unter diesen Bedingungen lohnen, ein für die ganze EU gleiches Wahlsystem einzuführen. Die Listen müssten die Regeln für eine gerechte demografische Repräsentierung und Gleichberechtigung einhalten. Die Anzahl der Parlamentarier müsste von heute 751 auf 700 reduziert werden. Nach Abschluss des Austritts Großbritanniens aus der EU (73 europäische Abgeordnete), könnte die Anzahl der Parlamentarier auf die proportional korrekte Zahl 630 reduziert werden. Die Repräsentierung kleiner Staaten müsste allerdings dabei garantiert sein (mindestens 6 Parlamentarier).

Im Rat seinerseits würde die Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit zur Regel werden, außer in Verteidigungsfragen. Eine solche Entwicklung könnte erreicht werden, wenn für die zu entscheidenden Texte für jedes Jahr die korrekten Prioritäten im Arbeitsprogramm des Europäischen Rates vorgesehen werden.


* 15 Durch Ausübung des Initiativrechts, das die Verträge vorsehen.

* 16 Erklärung zu Artikel 17 des EU-Vertrags.

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