ALLGEMEINE PRÄSENTATION DES STRATEGISCHEN KOMPASSES

Der strategische Kompass ist eine neue Doktrin der europäischen Verteidigung , mit dem Ziel, die reale Handlungsfähigkeit der EU an ihre Ambitionen/ehrgeizigen Ziele (die sicherlich stärker präzisiert werden müssen) anzugleichen, indem die Initiativen im Bereich Sicherheit und Verteidigung für die nächsten zehn Jahre definiert werden .


Das Ambitionsniveau“ der EU

Die Ambitionen der EU umfassen eine politische und eine militärische Dimension und sind das Ergebnis einer Reihe von zwischen 1999 und 2016 verabschiedeten Texten.

In politischer Hinsicht hat die EU ihr Ziele letztmalig mit der GSEU und deren Umsetzung im Bereich Sicherheit und Verteidigung formuliert. Die GSEU definiert drei strategische Prioritäten im Bereich Sicherheit und Verteidigung: die Reaktion auf externe Krisen und Konflikte ; die Stärkung der Fähigkeiten der Partner ; der Schutz der Union und ihrer Bürger .

Auf militärischer Ebene erfordern diese Zielsetzungen die gesamte Bandbreite an Verteidigungsfähigkeiten“ . Die GSEU hat jedoch zu keinerlei kompletten Revision der Art von Operationen geführt, zu denen die EU und ihre Mitgliedstaaten in der Lage sein müssen. Die aktuellen militärischen Ziele der EU leiten sich somit nach wie vor aus dem EUV und dessen allgemeinen Prinzipien ab.

Gemäß EUV müssen die EU und ihre Mitgliedstaaten zu folgenden Operationen in der Lage sein: gemeinsame Aktionen im Bereich Abrüstung, humanitäre und Evakuierungsmissionen, militärische Beratungs- und Unterstützungsmissionen, Missionen zur Konfliktvermeidung und Friedensbewahrung, Missionen der Streitkräfte zwecks Risikomanagement, einschließlich von Missionen zur Friedensschaffung und Stabilisierungsmissionen im Anschluss an Konflikte“ .

Der strategische Kompass umfasst zwei wesentliche Beiträge: eine gemeinsame Analyse der Bedrohungen und der Verwundbarkeit der EU, Definition der Orientierungen und Ziele bis 2030 - auf der Grundlage von vier Schwerpunktthemen zwecks Strukturierung der Position der EU innerhalb ihres strategischen Umfelds: Krisenmanagement, Resilienz, Fähigkeiten und Partnerschaften.

Diese Arbeit wurde offiziell im Anschluss an den Rat für Auswärtige Angelegenheiten/Verteidigung (CAE-D) vom 17. Juni 2020 lanciert und setzt sich bis zur französischen Ratspräsidentschaft der EU im ersten Halbjahr 2022 fort. Die zu Beginn festgelegte Roadmap kann aus jetziger Sicht eingehalten werden:

1. Juni 2020: Start des Prozesses

2. November 2020: Abschluss der Bedrohungsanalyse

3. 1. Halbjahr 2021: Diskussion der Ziele, Mittel und Beiträge der Mitgliedstaaten

4. 2. Halbjahr 2021: Synthese zwecks Entwurfs eines Strategischen Kompasses

5. Politische Diskussionen und Verabschiedung des Strategischen Kompasses im März 2022

Die Erarbeitung des Kompasses und die damit verbundenen vorbereitenden Arbeiten werden vom Hohen Vertreter /Vizepräsidenten gesteuert. Die Konvergenz der Europäer hinsichtlich gemeinsamer Interessen bezüglich Sicherheit und Verteidigung ist eines der wesentlichen Anliegen dieser Arbeiten.

Bedrohungsanalyse

Dank eines Inventars der Bedrohungen kann man die Existenz von Feinden oder doch zumindest Gegnern sowie gemeinsame Risiken erkennen. Jeder Mitgliedstaat führt regelmäßig solche Analysen durch, ebenso wie die NATO, die auf dieser Grundlage etwa aller zehn Jahre ihr strategisches Konzept“ überarbeitet.

Eine solche umfassende Bedrohungsanalyse über einen Zeitraum von zehn Jahren ist jedoch eine Premiere für die Europäische Union. Diese erste Analyse wurde am 26. November 2020 fertiggestellt. Sie beruht auf der Zuarbeit der Nachrichtendienste, wird in Form eines als Verschlusssache eingestuften und nicht gemeinsam gebilligten Brutto-Dokuments vom Europäischen Auswärtigen Dienst (EEAS) erstellt und vom Militärstab der EU (EUMS) 9 ( * ) koordiniert. Das Dokument umfasst drei Teile: die regionalen Bedrohungen, transversale Bedrohungen und Bedrohungen für die EU. Es enthält darüber hinaus eine prospektive Analyse, um die Entwicklung von Bedrohungen in den nächsten fünf oder zehn Jahren zu evaluieren.

•Die europäische Antwort auf diese Bedrohungen: Definition der Orientierungen und Ziele bis 2030

Die Mitgliedstaaten waren aufgefordert, ihren Beitrag zum Strategischen Kompass zum ersten Halbjahr 2021 vorzulegen. Ab Februar hat der EEAS ein scoping paper“ mit einer ersten Zusammenfassung der einzelnen Beiträge zu vier Schwerpunktthemen erstellt, um schrittweise erste Vorschläge zu initiieren. Dieses Dokument war ebenfalls nicht öffentlich. Im Laufe des Prozesses werden Beiträge bestimmter Mitgliedstaaten in Form von Nicht-Papieren“ 10 ( * ) vorgelegt, um die Diskussionen innerhalb von Workshops“ anzureichern, die in Abhängigkeit vom jeweiligen Thema Vertreter der jeweiligen Mitgliedstaaten und Experten zusammenführen. Die auf diese Art ausgehandelten Nicht-Papiere“ wurden von einer unterschiedlichen Anzahl von Mitgliedstaaten unterzeichnet und dem EEAS vorgelegt. Parallel zum Fortschreiten dieser Arbeiten wurden Sitzungen des Ministerrates abgehalten.

Der Inhalt der einzelnen Schwerpunktthemen des Strategischen Kompasses kann folgendermaßen präzisiert werden:

Management von internen oder externen Krisen ; mit dem Ziel, sich zu einem Garanten für Sicherheit“ zu entwickeln, der angesichts von Krisen fähiger und effektiver“ agiert als in der Vergangenheit und die operationellen Antworten und Reaktionen verbessert. Dabei geht es um europäische externe Missionen und Operationen.

Resilienz : Sicherung des Zugangs zu Gemeingütern (Cyberspace, Hochsee, Weltraum), Evaluierung der strategischen Verletzlichkeit in der Verteidigung und Sicherheit (Destabilisierung, hybride Bedrohungen, Bedrohungen hinsichtlich kritischer Infrastrukturen, Versorgungswege), Stärkung der gegenseitigen Unterstützung und der Solidarität zwischen Mitgliedstaaten (Klauseln der Artikel 222 AEUV 11 ( * ) et 42.7 EUV 12 ( * ) ); ein relativ neues Kapitel, um die gemeinsamen Werte, Institutionen, Instrumente und Güter zu schützen.

• Entwicklung der Fähigkeiten : dabei geht es konkret um die Entwicklung der notwendigen militärischen und zivilen Fähigkeiten, um einen verbesserten Prozess der Entwicklung von Fähigkeiten, die Förderung von Innovation und technologischer Souveränität, unter Berücksichtigung der wichtigsten Instrumente für Fähigkeiten der jüngsten Zeit: Ständige strukturierte Zusammenarbeit (SSZ), Europäischer Verteidigungsfonds (FED) (siehe nachstehend)...

Partnerschaften : hier geht es um die Strukturierung der Kooperation mit bestimmten internationalen Organisationen (UNO, NATO, OSZE, Afrikanische Union, ASEAN, G5 Sahel etc.), die Entwicklung eines strategischen Ansatzes mit Drittländern, Hilfe für Partner der EU, um ihre Sicherheit selbst zu gewährleisten.

Die ersten zwei Schwerpunktthemen definieren eine Ambition, die zwei letzten behandeln deren Umsetzung . Oder anders formuliert, bei den zwei ersten geht es um die Ziele und den zwei letzten um die Mittel zu deren Umsetzung .

Zwischen den einzelnen Aspekten gibt es zahlreiche Überschneidungen und nichts gibt Anlass zur Aussage, dass die endgültige Fassung genauso aussehen wird. Der EAD wird seine Synthese im zweiten Halbjahr 2021 vorlegen. Dieser Entwurf eines Strategischen Kompasses wird dem Rat für Auswärtige Angelegenheiten/Verteidigung im November 2021 vorgelegt.

• Abschluss des Prozesses

Der strategische Kompass wird mit dem Ziel einer Verabschiedung im März 2022, während der französischen Präsidentschaft des Rats der Europäischen Union im 1. Halbjahr 2022, erarbeitet.

• Die wesentlichen Spezifika des französischen Ansatzes , wie sie vom Ministerium für Europa und für Auswärtige Angelegenheiten angemerkt wurden, sind dabei die folgenden:

Zunächst einmal will Frankreich sich nicht durch einen im voraus definierten Plan einengen lassen . So wurde beispielsweise die Frage des Zugangs zu gemeinsamen Räumen (Cyberspace, Weltraum, Meere) dank einer französischen Initiative im Rahmen eines Workshops behandelt. Angesichts des vermehrten Potentials an Risiken ist Frankreich der Meinung, dass die Europäische Union mittels normativer Maßnahmen zur Stabilisierung des Zugangs zu diesen Zonen beitragen kann.

Frankreich wird darüber hinaus ganz besonders auf die Umsetzung des Kompasses achten . Frankreich wird sich dafür einsetzen, gemeinsam mit den nachfolgenden Präsidentschaften einen Plan der Umsetzung bis 2030 zu definieren (tschechischer Vorsitz im 2. Halbjahr 2022 und schwedischer Vorsitz im 1. Halbjahr 2023).

Und nicht zuletzt legt Frankreich großen Wert auf die Kohärenz des Kompasses mit dem strategischen Konzept der NATO , dessen Revision zeitgleich erfolgt, ohne dass die erste Übung konform mit der zweiten erfolgt. Im Übrigen nimmt Frankreich zwar sehr wohl die Bekräftigung der kollektiven Verteidigung der Alliierten durch die NATO zur Kenntnis, wünscht jedoch nicht, dass dies auf eine starre Teilung“ der Kompetenzen hinausläuft. Diese würde von Frankreich als gefährlich erachtet, da wir der Meinung sind, dass es Aufgabe jener Staaten ist, die sowohl Mitglied der Europäischen Union als auch der NATO sind, sich der Kohärenz der jeweiligen Aktionen zu versichern.

I. EIN KOMPASS FüR EIN FREIES, STARKES UND SCHüTZENDES EUROPA

A. ANALYSEN ABGLEICHEN

Im ehemaligen Ostblock galt das Augenmerk der baltischen Staaten, Polen und Rumänien eher Russland, wobei sie ihre Erwartungen an die NATO und die Vereinigten Staaten und nicht an die EU richteten.

Südeuropa, Frankreich und Belgien verfügen ihrerseits über ein verstärktes Bewusstsein hinsichtlich des von der Sahelzone ausgehenden Terrorismus- und Migrationsrisikos, welches die türkische Politik aus dem Gleichgewicht gebracht sowie die Konflikte in Syrien bzw. Libyen negativ beeinflusst hat. Angesichts der allgemeinen Verweigerung der NATO auf diesen Schauplätzen zu intervenieren, führte dies zu der Überzeugung, dass die EU ihre strategische Autonomie“ erobern muss, ein Konzept, das in Italien, Spanien und sogar in einem Teil Deutschlands auf offene Ohren stieß.

Zu guter Letzt fühlen sich Länder wie Österreich, Irland und Schweden historisch gesehen nicht von konventionellen Bedrohungen betroffen, da sie nicht der NATO angehören und im Bereich Sicherheit militärisch gesehen neutral sind.

Diese unterschiedlichen, auch gegenüber China oder Libyen eingenommenen Haltungen , könnten tiefgreifend, ja sogar unüberbrückbar erscheinen, machen jedoch das Spektrum geostrategischen Verständnisses der Europäischen Union ausmachen und sind jedoch nicht unverrückbar .

1. Zahlreiche Bedrohungen, die zum Beistand aufrufen
a) Bedrohungen, die in Anzahl, Vielfalt und Schwere zunehmen

Die Europäer mussten während der Trump-Regierung fast fassungslos mitansehen, dass der US-Beitrag zur NATO-Beistandsgarantie gegenüber den europäischen Mitglieder plötzlich nicht mehr selbstverständlich war. Donald Trump hatte ausdrücklich zu verstehen gegeben, dass die NATO-Beistandsgarantie seitens der Vereinigten Staaten für gewisse Mitgliedstaaten von deren Handelsverhalten abhinge und setzte so den US-Schutz als Druckmittel insbesondere gegenüber Deutschland ein, um dessen Exporte zu reduzieren.

Gleichzeitig sahen sich die Europäer spezifischeren, zahlreicheren und vielfältigeren Bedrohungen ausgesetzt, wodurch ein gemeinsamen Ansatz wünschenswert war.

Das steigende Risiko regional destabilisierender Konflikte vor der Haustür der Europäischen Union - wie in Syrien, Libyen und Berg-Karabach - würden somit einen verstärkten Einsatz der GSVP im Rahmen der Krisenbewältigung rechtfertigen. Hinzu kommt die neue Durchsetzungskraft der umliegenden Mittelstaaten (wie Russland, Türkei und Iran) sowie die Spannungen um Wasser und Energie, der Klimawandel und die Ernährungssicherheit, die derartige Konflikte auslösen bzw. aufrechterhalten können.

Des Weiteren kam es zu den allseits bekannten Angriffen, die aufgrund ihrer Natur ein NATO-Bündnisfall gewesen wären und auf die das Bündnis jedoch nur mit Mühe eine gemeinsame Antwort fand, da eines ihrer Mitglieder, nämlich die Türkei, involviert war. Ihre Haltung, ihre illegalen Aktionen zum Nachteil Griechenlands und Zyperns, gegen die Frankreich als erstes energisch auftrat, führten schließlich zu einer allgemeinen, zumindest formellen Verurteilung innerhalb der EU.

Diese Bedrohung, die zu den o.g. hinzukam, wurde zwar identifiziert und die Notwendigkeit sich zu organisieren erkannt, wurde aber weder von der NATO noch von der Europäischen Union richtig angegangen. An erster Stelle steht nun die Bedrohung durch endogenen bzw. exportierten Terrorismus und seiner Radikalisierung sowie kämpferischen Islamismus. Die Gefahr der Migration beunruhigt ebenso wie Cyberangriffe und Desinformation mit sehr aktiven Kampagnen seitens der Türkei, Russlands und Chinas. Allgemein gesehen erfordert die zunehmende Stärke Chinas aufgrund eines immer aufdringlicheren und weitaus weniger freundschaftlichen Verhaltens eine möglichst koordinierte Antwort.

Hybride Bedrohungen sind eine Mischung aus einer konventionellen und unkonventionellen Gefährdung der Sicherheit, wobei diese diplomatischer, militärischer, wirtschaftlicher oder technischer Natur sein können. Diese können so vage wie die Definition selbst sein. Sie sind die Folge regionaler oder globaler Mächte, die versuchen ihren Einfluss auszuweiten, indem sie alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, einschließlich politischer oder Industriespionage.

Aus einem anderen Blickwinkel betrachtet bedeutet dies, dass der Einsatz von chemischen, bakteriologischen bzw. Atomwaffen ebenfalls Teil des Bedrohungsspektrums ist, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Europäischen Union.

Seit rund zwei Jahren häufen sich problematische Situationen, die auf die Resilienz“ zurückgreifen, wie der Zugang zu umkämpften Räumen - einschließlich der Seewege - und die Kontrolle von Investitionen in strategischen Sektoren, wobei sie einen recht breiten Konsens finden. Die Gesundheitskrise hat den Begriff der Resilienz schließlich geprägt. Grund war die Gefährdung der Liefer- und Versorgungsketten, die die Souveränität der Europäischen Union ernsthaft gefährdete.

Auf längere Sicht kommt die systemische und sich Jahr um Jahr leider verschärfende Bedrohung durch den Klimawandel hinzu. Dieser wirkt sich in der Arktis unmittelbar aus und führt in Afrika bereits zu bestimmten Migrationsströmen.

b) Wachsende gemeinsame Ansichten

Werfen wir nun einen Blick auf die deutsch-französische Achse. Der politische Kontext war ab 2017 geprägt von einem französischen Präsidenten, der pro-europäischer als seine Vorgänger war und einer deutschen Bundeskanzlerin, die von Trump unter Druck gestellt wurde und der Deutschland verteufelte. Beide scheuten sich nicht, von der Notwendigkeit zu sprechen, dass Europa sein Schicksal in die Hand nehmen muss.

Die Europäer waren sich schnell einig, dass das Umfeld feindlicher als 2016 war, als die Globale Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union“ vorgelegt worden war. Dieses Dokument war schnell überholt, da es in der Woche des Brexit-Votums und 6 Monate vor Trumps Wahl veröffentlicht wurde. Sein Hauptverdienst war es, auf einem relativ kleinen gemeinsamen Nenner einen Moment der Versöhnung zu schaffen (nachdem starke Differenzen über die Militärintervention im Irak aufgetreten waren).

Einigkeit bestand hinsichtlich der Notwendigkeit sich die Mittel zu geben, um ernst genommen zu werden. Außerdem wurde das Interesse eines neuen strategischen Dokuments erkannt, einem echten Weißbuch über die europäische Verteidigung. Die voraussichtliche Veröffentlichung des Strategischen Kompass ist für Anfang 2022 vorgesehen und erfolgt nach dem Amtsantritt der neuen US-Regierung, wodurch dieser Text wahrscheinlich nicht so schnell überholt sein wird.

Im Allgemeinen erkennen die Mitgliedstaaten allmählich, dass die Verwirklichung eines umfassenden Sicherheitsziels auf nationaler Ebene immer schwieriger wird, auf supranationaler Ebene jedoch realistisch bleibt, in einem Kontext, in dem die NATO nicht alle Risiken übernehmen kann . Man ist sich nun bewusst, dass staatliche Souveränität und europäische Souveränität sich gegenseitig verstärken und nicht miteinander konkurrieren - eine Idee, die zudem dazu beitragen würde, einen Populismus zu bekämpfen, der dem Aufbau Europas im Allgemeinen und seiner Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Besonderen schadet.

Natürlich wird der Strategische Kompass niemals in der Lage sein, alle Differenzen zwischen den europäischen Partnern zu beseitigen, von denen einige, insbesondere im militärischen Bereich, unüberbrückbar erscheinen. Wirft man einen Blick auf Polen oder das Vereinigte Königreich, so bemerkt man, dass die Trump-Ära dort gegensätzliche Auswirkungen hatte . Diese Länder zeigten ein gewisses Maß an Übereifer gegenüber den Vereinigten Staaten und bekräftigten energisch ihre Unterstützung durch ungewöhnlich teure Anschaffungen von US-Militärmaterial, was sich durch die Aussicht auf ihren nachhaltigen Schutz direkt erklären lässt.

Im Großen und Ganzen waren jedoch die Unterschiede zwischen den verschiedenen Ansätzen weniger groß, als man oft dachte.

Ein positives Zeichen ist, dass einige nördliche und östliche EU-Länder der Task Force Takuba 13 ( * ) beigetreten sind oder demnächst beitreten werden - selbst wenn einige ihre Teilnahme auch als eine Möglichkeit sehen von uns zu lernen, um ihre territoriale Verteidigung effektiver zu gestalten. Polen, Rumänien und die baltischen Staaten beteiligen sich zum Beispiel an der EUTM Mali 14 ( * ) . Die Risikowahrnehmung der Tschechischen Republik bzw. der Slowakei hat sich in den letzten Jahren verändert und beide zeigen ein wachsendes Interesse an einer strategischen Autonomie“. Im Allgemeinen scheinen die mitteleuropäischen Staaten zu einem nunmehr stärkeren Engagement in der GSVP bereit zu sein. Dies gilt im Bereich Cyberangriffe, für die Polen und die baltischen Staaten nun die Vorstellung einer europäischen Cyberverteidigung und einer Solidaritätsklausel in diesem Bereich zu schätzen wissen, was eine kleine Revolution darstellt - selbst wenn sich die Entwicklung bestimmter Haltungen ganz einfach dadurch erklären lässt, dass die Türkei den NATO-Verteidigungsplan für die baltischen Staaten und Polen seit mehreren Jahre blockiert 15 ( * ) .

Umgekehrt ist Frankreich mit der Mission Lynx im Rahmen der eFP 16 ( * ) in Estland präsent. Je stärker die Belegschaften der Mitgliedstaaten zusammenarbeiten, umso wahrscheinlicher ist eine Annäherung ihrer strategischer Kulturen.

2. Ein sowohl umfassender als auch ehrgeiziger Strategischer Kompass“

Entsprechend der deutschen Sichtweise, die in Fragen der Sicherheit und Verteidigung stark inklusiv ist, verfügt der Strategische Kompass über einen partizipatorischen Ansatz mit dem obersten Ziel, kein Mitgliedsland auf der Strecke zu lassen. Frankreich und Deutschland arbeiten eng bei der Vorlage von Non-Papers und bei der Organisation von Workshops zusammen, wobei Deutschland auf der Tatsache besteht, dass beim Strategischen Kompass die Gespräche genauso wichtig sind wie das Schlussdokument an sich.

Seit der SK auf den Weg gebracht wurde war das mit der Verwirklichung dieses Ansatzes verbundene Risiko nicht unerheblich. Es bestand die Gefahr eines engstirnigen Endergebnisses, das durch 27 noch sehr unterschiedliche Auffassungen, die sich durch dieses Vorhaben kaum weiterentwickelt hätten, auf den größten gemeinsamen Nenner reduziert würde. Nach mehreren Jahrzehnten symbolischer Fortschritte und realer Entsagungen im Bereich der europäischen Sicherheit und Verteidigung ist es jedoch auch denkbar, dass dadurch die Notwendigkeit einer Änderung der Methode zum Ausdruck gebracht wurde.

Politiker und Experten an einen Tisch zu bringen, um über die uns umgebenden Risiken nachzudenken und dafür zu sorgen, dass jeder das Risiko seines Nachbarn versteht und sich zu eigen macht, ist ein einfacher, positiver und intelligenter Ansatz, der dazu beitragen kann, das größte Übel der europäischen Sicherheit und Verteidigung zu beseitigen: die tiefgreifenden Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Bedrohungen. Dementsprechend können gemeinsame Überlegungen zu den Zielen und folglich zu den wirklichen Beitragsmöglichkeiten, über die die Europäische Union über ihre Mitglieder im Bereich Sicherheit und Verteidigung verfügt, dazu beitragen Standpunkte zu harmonisieren.

Dies ist auch die Gelegenheit neue Ideen auf das Tapet zu bringen, zu denen sich Mitgliedstaaten bisher nicht geäußert haben. Dies könnte die allgemeine Akzeptanz erhöhen, da man sich nicht verpflichtet sieht, etwas bereits Gesagtes zurückzunehmen. Wird die Kühnheit der Vorschläge die paradoxe Garantie für den Erfolg eines inklusiven Strategischen Kompasses sein?

Auf jeden Fall wird ein solches Werkzeug die europäischen Partner, die am wenigsten dafür empfänglich sind fast beiläufig dazu bringen, sich Verteidigungsfragen anzueignen , zumal man sie durch die Ausweitung auf Fragen der Resilienz, dadurch dass der Begriff umfassender und weniger militärisch konnotiert ist, dafür gewinnen kann.

Schließlich stellen sich ganz natürlich folgende Frage: Welchen Bedrohungen sind wir ausgesetzt? - Welche Ziele setzen wir uns, um darauf zu antworten? - Welche Mittel sind folglich notwendig?“. Diese werden in zahlreichen Workshops mit variabler Geometrie je nach Thema und teilnehmenden Staaten in einem konstruktiven Klima behandelt, was einen noch nie da gewesenen Austausch der Standpunkte und Analysen zu sämtlichen europäischen Sicherheitsfragen fördert und vom EAD zusammengefasst wird.

Es sollte noch hinzugefügt werden, dass dies nicht auf Betreiben Frankreichs geschieht. Das ist für eine Initiative, die darauf abzielt den europäischen Sicherheits- und Verteidigungsapparat zu stärken von Vorteil, da so ein gewisses Misstrauen ausgeräumt wird. Ebenso wird Frankreich darauf achten müssen, dass es während der französischen Ratspräsidentschaft keinen eindeutigen Vorteil in Bezug auf die Ausrichtung des Kompasses sucht (siehe nachstehend).

Den meisten Quellen zufolge wurde eine hochwertige Bedrohungsanalyse durchgeführt, die ein solides Bezugsdokument für weitere Überlegungen bildet. Die Informationen wurden ohne jeglichen Widerwillen zwischen Nachrichtendiensten ausgetauscht. Insbesondere die international ausgerichteten Nachrichtendienste Frankreichs und Deutschlands waren in der Lage anderen Mitgliedstaaten, deren Nachrichtendienste meist regional ausgerichtet sind, nützliche Informationen zu liefern. Jedoch wäre der Inhalt der Analyse stark eingeschränkt, müsste man sie zu diesem Zeitpunkt politisch umsetzen 17 ( * ) .

Hinsichtlich der Ziele waren die Workshops sehr gut besucht und es fanden keine Trittbrettfahrer-Haltungen“ statt. Das System der Non-Papers“ funktioniert: Frankreich hat zum Beispiel ein Non-Paper zum Krisenmanagement erstellt, das von 14 Staaten unterzeichnet wurde (Österreich, Belgien, Zypern, Tschechische Republik, Deutschland, Griechenland, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Portugal, Slowenien, Spanien).

Das Scoping Paper (Zwischenbericht zur Sachlage, siehe vorstehend ) hat die Messlatte hoch genug gelegt um zu weitläufige, meist sterile Diskussionen zu vermeiden. Je detaillierter der Strategische Kompass ist, desto einfacher wird es, ihn operativ anzuwenden.

Natürlich ist die Bedeutung, die die Mitgliedstaaten dem Strategischen Kompass beimessen, nicht durchgehend einheitlich . Diesbezüglich ist zu sehen, dass die Beiträge der Botschaften in den meisten Fällen von der Bedeutung abhängt, die sie der GSVP und der strategischen Autonomie zumessen.

Insgesamt ist die umfassende Beteiligung am Prozess in Form von im Allgemeinen als erfolgreich empfundenen Brainstormings mit Regierungen, Think-Tanks und Experten zufriedenstellend, auch wenn letzteren mehr Platz eingeräumt werden könnte. Im Grunde bedauern wir hinsichtlich dieser Methode nur eins, dies jedoch zutiefst: Die Absprachen und Gespräche wurden nicht auf die Parlamente ausgedehnt, was den strategischen Kompass eines Hebels beraubt, der die Diskussionen bereichern und den europäischen Bürgern diesen hätte näher bringen können. Dieses Manko könnte beim Abschluss des Prozesses in der Waagschale wiegen.

Der vorliegende Bericht zielt in gewisser Weise darauf ab, diese Lücke zu schließen, was sämtliche Beiträge unserer Botschaften bestätigen: In der EU ist der Strategische Kompass in der öffentlichen Debatte durchweg abwesend.

3. Ein Strategischer Kompass“ ohne spaltende Konzepten

Aus unserer Sicht ist es klar, dass der Strategische Kompass letztlich die strategische Autonomie der EU zum Ziel hat, ein Konzept, das wir in einem Bericht mit dem Titel Europäische Verteidigung, die Herausforderung einer strategischen Autonomie“ 18 ( * ) unterstrichen haben. Eine der ersten Empfehlungen dieses Berichts war, um die o.g. Autonomie zu erreichen, gemeinsam ein europäisches Weißbuch der Verteidigung auszuarbeiten, derzeit fehlendes Bindeglied zwischen der globalen Strategie der Europäischen Union, dem Fähigkeitenbedarf und den vorhandenen operativen Werkzeugen. “ Der Strategische Kompass wird diesem Bestreben ganz bzw. teilweise gerecht werden können.

Das Konzept der strategischen Autonomie sowie das der europäischen Souveränität“, ganz zu schweigen vom französisch geprägten Europe de la défense “ (Europa der Verteidigung) ruft bei den Staaten, die darin ein Bestreben nach Distanzierung und sogar Ablösen der NATO sehen, starke Vorbehalte hervor. Ins Englische übersetzt, erhält die strategic autonomy“ 19 ( * ) somit eine härtere Bedeutung, die bei den Mitgliedstaaten, für die der Schutz der NATO überlebenswichtig erscheint, eine fast instinktive Ablehnung hervorruft und zu einem Falschverständnis der Absichten ihrer Befürworter führt.

Seien wir also taktvoll, denn wichtig ist nur die Idee: Europa die Fähigkeit zu geben, notfalls allein für seine Sicherheit zu handeln . Diese Handlungsfähigkeit gilt es zu fördern.

Ziel des Strategischen Kompasses ist es, alle Europäer beim Vorantreiben der europäischen Sicherheit und Verteidigung auf einen Weg zu bringen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass bei den Diskussionen zum Strategischen Kompass konkrete Themen angesprochen werden , was eventuelle Missverständnisse hinsichtlich dieses Ansatzes ausräumen soll. In dieser Hinsicht wird das Konzept des Strategischen Kompasses von einem durch seinen Pragmatismus beruhigend wirkenden Deutschland inspiriert.

Genauso baut der vorliegende Bericht nicht auf diese Themen auf. Diese Entscheidung ist umso notwendiger, da Frankreich sich einerseits von 1966 bis 2009 aus der NATO zurückzog, andererseits die Idee einer europäischen Armee förderte und nun der einzige Mitgliedstaat ist, der über Atomwaffen verfügt. Aus diesem Grund kann es diese Konzepte nicht vorbringen, ohne den sofortigen Verdacht zu erwecken, dass es versucht, eine EU-Verteidigung ohne die Vereinigten Staaten als nie endendes gaullistisches Epos zu fördern.

Zugegebenermaßen wird in der Globalen Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union ausdrücklich die strategische Autonomie als zu erreichendes Ziel genannt, was Frankreich erlaubt, sich von der Urheberschaft des Konzepts freizusprechen. Zugegebenermaßen ist dieses Ziel während der Trump-Administration bei den Mitgliedstaaten, die über eine Schwächung des NATO-Schirms besorgt waren, auf offene Ohren gestoßen. Jedoch werden wir sehen, dass die Wahl von Joe Biden und sein Bekenntnis zum US-Engagements in der NATO die Situation von Grund auf geändert hat, so dass die meisten Mitgliedstaaten:

- entweder dem Ausdruck mit erneutem Misstrauen begegnen 20 ( * ) ;

- oder den Ausdruck vorbehaltlos einsetzen, jedoch seines Inhalts entleert, d. h., indem sie ihn auf die Resilienz beschränken und somit auf die Bereiche Wirtschaft, Technologie, IT (aus dem Gesichtspunkt der Cyberverteidigung), Handel, Gesundheit, Ernährung bzw. Umwelt beziehen, ohne dabei militärische bzw. Verteidigungsfragen im eigentlichen Sinne anzusprechen.


* 9 Dieses Dokument wird vor allem vom SIAC abgefasst, der nachrichtendienstlichen Analysestruktur, in der der (militärische) Nachrichtendienst des EUMS und das (zivile) Analysezentrum des Nachrichtendiensts (IntCen) des Europäischen Auswärtigen Diensts (EEAS) zusammengefasst sind.

* 10 Anmerkung: In Frankreich wurde ursprünglich das Armee-Ministerium für die Nicht-Papiere zum Krisenmanagement und zu den Fähigkeiten angerufen; das Ministerium für Europa und für Auswärtige Angelegenheiten zeichnete für die Resilienz und die Partnerschaften verantwortlich. Für die Diskussionen in den Workshops war allein das Ministerium für Europa und Auswärtige Angelegenheiten zuständig.

* 11 Der Artikel 222 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU sieht eine gemeinsame Aktion der Union und ihrer Mitgliedstaaten vor für den Fall, dass einer von ihnen Opfer einer terroristischen Attacke beziehungsweise einer natürlichen oder von Menschen bewirkten Katastrophe ist.

* 12 Klausel über die gegenseitige Verteidigung im Vertrag der Europäischen Union; der Artikel 42.7 EUV entspricht für die EU (mehr oder weniger) dem Artikel 5 des Nordatlantikvertrags für die NATO.

* 13 Takuba vereint Spezialkräfte anderer Mitgliedstaaten in der Sahelzone: Die Tschechische Republik seit Januar 2021, Schweden seit Februar, Italien seit März. Verbindungsoffiziere aus Portugal, Belgien und den Niederlanden sollen Teil des Militärstabs der Task Force in Menaka werden. Die Ukraine, Griechenland und Ungarn haben ebenfalls Beiträge zugesagt. Vorbehaltlich der Zustimmung des dänischen Parlaments wird Dänemark 2022 seinen Beitrag leisten.

* 14 EUTM Mali ist eine von der EU am 18. Februar 2013 gestartete Ausbildungsmission der malischen Streitkräfte.

* 15 Die Türkei macht ihre Unterstützung davon abhängig, dass die Mitgliedstaaten die kurdische Miliz in Syrien, die Volksverteidigungseinheiten (YPG), als terroristische Organisation anerkennen.

* 16 Die französischen Streitkräfte beteiligten sich seit März 2017 an der Enhanced Forward Presence - eFP der NATO mit einer Beistandstruppe an Einsätzen innerhalb eines in Estland stationierten britischen Bataillons (Rahmennation) bzw. innerhalb eines in Litauen stationierten deutschen Bataillons (Rahmennation). Die derzeitige Mission startete in März 2021 und ist in Estland eingesetzt. Ebenfalls im Rahmen der eFP entwickeln sich Kooperationen im Bereich Luftfahrt mit den baltischen Staaten.

* 17 Dieses Vorhaben kann nicht mit der JTA (Joint Threat Assessment - gemeinsame Beurteilung der Bedrohung) der NATO verglichen werden, einem Analysemechanismus, bei dem Verhandlungen zwischen Nachrichtendiensten verbündeter Länder stattfinden und eine zeilenweise Einigung über die Beurteilung der Bedrohung erfolgt. Die JTA dient als Maßstab für die Definition der Abschreckungs- und Verteidigungshaltung der NATO sowie ihres Fähigkeitenbedarfs.

* 18 Bericht des Senats Nr. 626 (2018-2019), Juli 2019.

* 19 Autonomy im Englischen kommt der Idee der Autarkie nahe.

* 20 Es stimmt dass diese relative Verdrossenheit nicht einheitlich ist: In einem kürzlich von Mark Rutte und Pedro Sánchez veröffentlichten gemeinsamen Brief, setzen sich die Niederlande - völlig unerwartet - und Spanien für eine größere strategische Autonomie für Europa ein. Josep Borrell plädiert ebenfalls durchgehend für strategische Autonomie. Andererseits geht aus den Beiträgen der Botschaften hervor, dass Länder wie Polen oder Rumänien weniger denn je ihr gegenüber offen sind.

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